Trends und Perspektiven
Die Nachfrage von institutionellen Investor:innen wird als Schlüsselfaktor für die Entwicklung Nachhaltiger Geldanlagen gesehen.
Wie in den Jahren zuvor, haben wir die Teilnehmenden nach Treibern und Hemmnissen in der Entwicklung Nachhaltiger Geldanlagen befragt. Die drei als am wichtigsten eingestuften Schlüsselfaktoren sind die Nachfrage von institutionellen Investor:innen (85 Prozent), die Änderungen von gesetzlichen Rahmenbedingungen (83 Prozent) und externer Druck (7 Prozent). Diese waren bereits vor zehn Jahren, in der Erhebung zum FNG-Marktbericht 2014, die Top-Drei-Schlüsselfaktoren und haben über die Jahre nicht an Relevanz eingebüßt. Institutionelle Investor:innen, wie beispielsweise Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften, haben aufgrund ihrer Marktstellung die Möglichkeit, die Integration von Nachhaltigkeitskriterien voranzutreiben. Gesetzliche Rahmenbedingungen sind entscheidend, da sie durch Leitlinien und Standardisierungen einen für alle geltenden, konsistenten Rahmen schaffen können. Externer Druck, sei es von Seiten der Öffentlichkeit oder anderer Interessengruppen, kann Finanzinstitute dazu motivieren, ihre Geschäftspraktiken zu ändern und nachhaltiger zu handeln.
Die fehlende Harmonisierung der Regulatorik bremst die Entwicklung Nachhaltiger Geldanlagen.
In Ergänzung dazu sehen die Befragten als primäre Hemmnisse in der Entwicklung Nachhaltiger Geldanlagen die fehlende Harmonisierung der Regulatorik (89 Prozent), mangelnde Datenverfügbarkeit (88 Prozent) und fehlende universell anerkannte Standards (81 Prozent). Dies verdeutlicht die grundlegenden Herausforderungen, denen Finanzunternehmen gegenüberstehen, wenn es darum geht, Nachhaltigkeitskriterien in ihren Investmentprozess zu integrieren.
Die mangelnde Datenverfügbarkeit wurde in der diesjährigen Erhebung bereits an mehreren Stellen als Grund für ein zögerliches Handeln genannt. Die Analyse und Bewertung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren ist abhängig von der Qualität und Verfügbarkeit von Daten. Ohne umfassende und aussagekräftige Daten über Nachhaltigkeitsaspekte lassen sich kaum fundierte Entscheidungen treffen oder ein effektives Risikomanagement betreiben. Fehlende universell anerkannte Standards erschweren ebenfalls die Integration von Nachhaltigkeitskriterien. Hier wird die Umsetzung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) mit der Anwendung der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) wichtigen Fortschritt bringen. Es bleibt abzuwarten, ob die zusätzlichen Daten für die Finanzmarktakteur:innen in der Praxis ausreichend und passend sind.
Ohne klare und einheitliche Definitionen und Messgrößen für Nachhaltigkeit bleibt es eine Herausforderung, die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen und Finanzprodukten zu bewerten und zu vergleichen. Dies führt zu Unsicherheit und inkonsistenten Ergebnissen, was letztendlich die Entwicklung und Umsetzung von nachhaltigen Anlagestrategien behindert. Ein stabiles und verlässliches Umfeld für nachhaltige Investitionen braucht aber einen auf nationaler und internationaler Ebene einheitlichen regulatorischen Rahmen.
Zur Überwindung dieser Barrieren sind verstärkte Bemühungen erforderlich, um die Datenverfügbarkeit zu verbessern, eine regulatorische Harmonisierung voranzutreiben und einheitliche Standards zu etablieren. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Regulierungsbehörden, Finanzinstituten, der Wissenschaft und weiteren relevanten Parteien, um gemeinsame, praxistaugliche Lösungen zu finden und eine nachhaltige Finanzwirtschaft zu fördern.
Mit Sorge blicken die Teilnehmenden in diesem Jahr auch auf die politische Landschaft. Nach den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 könnten sich die politischen Mehrheitsverhältnisse ändern. Dass das hemmende Folgen auf die Entwicklung Nachhaltiger Geldanlagen haben wird, befürchten 71 Prozent. Lediglich 9 Prozent bemessen der politischen Gemengelage eine geringere Rolle zu.
Befragt nach wünschenswerten Entwicklungen gaben die Teilnehmenden eine Vielzahl an Antworten, die sich hauptsächlich unter den Themen Regulierung, Standards und Datenlage zusammenfassen lassen. Die Mehrheit der Finanzmarktakteur:innen äußerte den Wunsch nach einem klaren und effizient umsetzbaren Regulierungsrahmen, der einheitliche, international geltende Standards etabliert und praxistauglich ist. Eine qualitativ bessere ESG-Datenqualität, wie von vielen gefordert, ließe sich mit einem solchen Rahmen erreichen.
Zudem würde eine höhere Nachfrage von privater, aber vor allem auch institutioneller Seite die Entwicklung Nachhaltiger Geldanlagen befördern. Dies ließe sich beispielsweise mit einem stärkeren Rückenwind aus der Politik bewerkstelligen. Mit Blick auf die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen von Privatanleger:innen nach MiFID II hat das FNG im Jahr 2023 eine Vereinfachung gefordert.[1]
Die Teilnehmenden nannten bei der Befragung zu besorgniserregenden Entwicklungen im Bereich Nachhaltiger Geldanlagen ebenfalls am häufigsten die Regulierung. Besonders groß ist die Befürchtung vor einer Überregulierung und der zunehmenden Komplexität, die zu Lasten der Kund:innen geht und eine sinkende Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten zur Folge haben könnte.
Ebenso werden Vorwürfe von Greenwashing und Impactwashing infolge lückenhafter Regulierungen und Standardisierungen, beispielsweise bei einer sozialen Taxonomie, als eine der Hauptsorgen ins Feld geführt. Hohe Kosten für ESG-Daten sowie die momentane, als unzureichend wahrgenommene Datenlage stellen die Finanzunternehmen wie auch im letzten Jahr vor eine Herausforderung.
Mit Blick auf Politik und Gesellschaft setzen sich die Trends der letzten Jahre fort. Geopolitische Spannungen und insbesondere der russische Angriffskrieg in der Ukraine führen zu einer Diskursverschiebung weg von Nachhaltigkeitsthemen hin zu einem verstärkten Lobbyismus für Kernenergie oder gar fossile Energieträger.
Eine Vielzahl der Befragten blickt mit Sorge auf die anstehenden Wahlen und mögliche Veränderungen der politischen Mehrheiten.
Zudem gab eine Vielzahl der Befragten mit Blick auf die Entwicklung Nachhaltiger Geldanlagen politische Sorgen an. Bei den in der EU, Österreich, Deutschland und den USA in diesem Jahr anstehenden Wahlen könnten sich die politischen Mehrheiten zugunsten rechter Parteien verschieben. Vor allem sind es eben diese Parteien, die sich als politische Anti-ESG-Bewegungen verstehen und den menschengemachten Klimawandel verleugnen. Dem gilt es einen aufklärenden, auf Augenhöhe angesiedelten Diskurs entgegenzusetzen, um wissenschaftliche Fakten angemessen zu vermitteln und populistischen Bewegungen sowie Desinformationskampagnen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Trotz regulatorischer und politisch-gesellschaftlicher Unsicherheit blicken die Befragten positiv auf das Jahr 2024. 81 Prozent prognostizieren ein Wachstum Nachhaltiger Geldanlagen für dieses Jahr. 16 Prozent erwarten eine Stagnation, während lediglich zwei Prozent einen Rückgang Nachhaltiger Geldanlagen erwarten. Dennoch zeigt die Prognose in Grafik 6.9 den negativsten Trend in der Geschichte des FNG-Marktberichts. Die Hürden, denen sich nachhaltige Finanzmarktakteur:innen stellen müssen, konnten in den vergangenen Jahren nicht vollständig abgebaut werden. So bleibt es dennoch ein vielversprechendes Zeichen, dass die große Mehrheit der befragten Unternehmen trotz dieser bewegten Zeiten weiterhin die Entwicklung Nachhaltiger Geldanlagen positiv bewertet.
Quellen
[1] FNG (2023): ESMA Call for Evidence on sustainability in suitability and product governance FNG Response. https://www.forum-ng.org/fileadmin/user_upload/ESMA_CfE_FNG_Response.pdf.